20 August 2006

DERRIDA

Derrida beherrscht eine Rhetorik des Kairos, der Unbedingtheit, wie es sie in Deutschland nur in der Zeit des Expressionismus gegeben hat. Der alte Buber und später der alte Bloch traten mit solchem Pathos auf. Derrida betet sich selbst jedoch nicht nach. Er schlägt keine auftrumpfende Retour-à-Freud-Lektüre vor, sondern ist bescheidener – oder, wenn man so will, unbescheidener zugleich. Sein messianischer Zentralbegriff ist das »nichtnegative Unmögliche«. In diese messianische Kategorie übersetzt er das Ziel der freudschen Psychoanalyse. Damit bestätigt er Freud neben Nietzsche als den größten prophetischen Denker der Jahrhundertwende und des vorigen Jahrhunderts. Er meint allerdings, was Freuds prophetischer Kritik und Skepsis fehle, sei das Messianische: Ein wahrer Prophet muss, gemäß Derrida, messianisch sein. Diesem Messianischen eröffnete er eine Heimstatt. Damit »mondialisiert er Begriffe der innerjüdischen Heilserwartung.«

Aus: Caroline Neubaur, Messias, ohne Alibi. Mit Derrida: Die »Generalstände der Psychoanalyse« tagen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Juli 2000.